Pflicht zur Aufklärung der Mutter über die Möglichkeit einer relativ indizierten Schnittentbindung

Drohen bei einer vaginalen Geburt für das Kind ernstzunehmende Gefahren und sprechen im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung, so ist die werdende Mutter über die Möglichkeit einer Schnittentbindung aufzuklären.

Zwar soll die werdende Mutter während der Geburt nicht unnötig mit den unterschiedlichen Gefahren und Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden belastet werden, insbesondere wenn eine Aufklärung noch keinen konkreten Gehalt haben könnte und rein theoretischer Natur wäre.
Anders ist es jedoch, wenn deutliche Anzeichen dafür sprechen, dass sich die Situation in eine Richtung entwickeln kann, die eine Entscheidung bezüglich einer Entbindungsmethode nötig werden lässt.

Nach ständiger Rechtssprechung ist eine Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden erforderlich, wenn mehrere gleich geeignete Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind, welche jeweils zu unterschiedlichen Risiken, Erfolgschancen oder Belastungen führen.

In dem entschiedenen Fall nahm das Kind, vertreten durch die Mutter, die geburtsleitende Ärztin wegen eines schweren Geburtsschadens in Anspruch.
Während des nur langsam fortschreitenden Geburtsvorgangs bat die Mutter die behandelnde Ärztin, eine Schnittentbindung vorzunehmen. Die Ärztin lehnte dies ab und führte zunächst eine Vakuumextraktion mittels einer Saugglocke durch. Erst nach einem erfolglosen zweiten Versuch, die Entbindung durch eine Vakuumextraktion mit Hilfe einer Saugglocke durchzuführen, nahm die beklagte Ärztin eine Notsectio vor. Der neonatologische Abholdienst wurde zudem nicht zeitgleich mit der Vornahme der Notsectio alarmiert und traf erst verspätet ein. Das Kind kam mit einer schweren metabolischen Azidose zur Welt und musste reanimiert werden. Seitdem ist das Kind schwerstgeschädigt.
Der BGH lehnte die Erforderlichkeit einer Aufklärung nur für den Fall einer zwingenden Indikation ab und stellt klar, dass auch bei einer relativ indizierten Schnittentbindung eine Aufklärungspflicht gegenüber der Mutter bestehen kann, auch wenn zum entscheidenden Zeitpunkt noch keine Gefährdung des Kindes vorliegt.
 
Bundesgerichtshof, Urteil BGH VI ZR 69 10 vom 17.05.2011
Normen: BGB § 823 I
[bns]